„Koordinierter Angriff auf organisierte Fan-Strukturen“

Am 19. März 2024 kam es zu Hausdurchsuchungen bei 1. FSV Mainz 05-, Eintracht Frankfurt- und FC Augsburg-Fans. Die Mainzer Fanhilfe hat heute eine ausführliche Stellungnahme zum Thema veröffentlicht. Die Durchsuchungen seien ein koordinierter Angriff auf organisierte Fan-Strukturen gewesen.

Polizei und Staatsanwaltschaft wäre es demnach nicht darum gegangen, Beweismittel zu finden, sondern vor allem darum die Fans einzuschüchtern, auszuforschen und zu stigmatisieren. (Faszination Fankurve, 23.03.2024)

"Die ganze Kurve gegen ihre Repression"-Botschaft der Mainz 05-Ultras beim Heimspiel gegen Mönchengladbach.
"Die ganze Kurve gegen ihre Repression"-Botschaft der Mainz 05-Ultras beim Heimspiel gegen Mönchengladbach. Bild: rheinhessen-on-tour.de

Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahme der Mainzer Fanhilfe zu den Hausdurchsuchungen vom 19.03.2024:

Am vergangenen Dienstag kam es auf Betreiben der Staatanwaltschaft Mainz zu einer regelrechten Welle von Hausdurchsuchungen: 45 Durchsuchungsbeschlüsse wurden zeitgleich (um 6 Uhr morgens) und in verschiedenen Bundesländern (Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bayern) vollstreckt. Betroffen waren hauptsächlich Fans von Mainz 05 sowie Anhänger von Eintracht Frankfurt und dem FC Augsburg, denen jeweils „besonders schwerer Landfriedensbruch“ (nach § 125a StGB) vorgeworfen wird.

Die Mainzer Fanhilfe verurteilt diese völlig überzogenen und rechtlich äußerst fragwürdigen Maßnahmen aufs Schärfste! Sie sind Ausdruck eines geradezu polizeistaatlichen Selbstverständnisses der Ermittlungsbehörden, die sich offenbar in einem „Anti-Terrorkampf light“ gegen die Fankurven wähnen und Beschuldigte wie gefährliche Staatsfeinde drangsalieren – anstatt sich um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu scheren, wie es das rechtsstaatliche Übermaßverbot verlangt.

Aber der Reihe nach. Am 22.12.2023 sowie am 17.02.2024 war es in Mainz zu Auseinandersetzungen rivalisierender Fangruppen gekommen, die jeweils die Polizei auf den Plan riefen. Die nun erfolgten Hausdurchsuchungen wollen sich als Teil dieser anschließenden Ermittlungsmaßnahmen verstanden wissen, sie sollten also (als „repressive“ Maßnahme nach der StPO) dem Auffinden von Beweismitteln dienen. Tatsächlich aber scheint dieser Zweck während der Durchsuchungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben:

Zunächst sei erwähnt, dass im Zuge der Hausdurchsuchungen hauptsächlich Kleidungsstücke gesucht wurden (etwa „schwarze Jacke der Marke The North Face“, „blaue Jeans“), denen – weil sehr weit verbreitet – selbst bei ihrem Auffinden für sich genommen wenig Aussagekraft beigemessen werden kann. Vor allem aber hätte die Polizei, wo sie doch so genau wusste, was sie sucht, die einzelnen Wohnungen überhaupt nicht durchsuchen brauchen: Es hätte vollkommen ausgereicht, den Beschuldigten die gesuchten Gegenstände mitzuteilen und sie sich aushändigen zu lassen. Dass die Polizei auf diese Möglichkeit verzichtete, belegt nicht nur, wie leichtfertig sie die Grundsätze des Verhältnismäßigkeitsprinzips übergeht, sondern ist auch ein Hinweis darauf, dass es Polizei und Staatsanwaltschaft noch vor der Sachverhaltsaufklärung vor allem um die Hausdurchsuchungen selbst ging.

Diese Annahme wird auch dadurch bestärkt, dass der Polizei zum Zeitpunkt der Hausdurchsuchungen bereits Bild- und Videomaterial zur Verfügung stand, das aus polizeilicher Sicht scheinbar geeignet ist, zumindest einzelnen Beschuldigten eine Täterschaft nachzuweisen. Wenn doch aber die Polizei in der Lage ist, den Betroffenen ihres morgendlichen Besuches schon vermeintliche „Beweisfotos“ vorzulegen – wozu dringt sie dann noch in die Wohnung der Beschuldigten ein? Hätte es eine simple Vorladung (zur Vernehmung oder erkennungsdienstlichen Behandlung) nicht auch getan?

Nein, denn eine solche Vorladung könnte natürlich nie den Einschüchterungseffekt und den Moment des Ausgeliefert-Seins ersetzen, welche eine Hausdurchsuchung mit sich bringt. Und – wie so häufig – ließ sich die Polizei auch am Dienstag noch einige Gemeinheiten einfallen, um keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass ihr Angriff auf die Kurven als eben solcher gemeint ist: als Angriff.

So wurde ein Beschuldigter in seiner Wohnung gefesselt und geknebelt, ein weiterer wurde von vermummten BFE-Einheiten mit Handschellen von seinem Arbeitsplatz abtransportiert, andere trugen Ihre Handschellen noch beim stundenlangen Warten auf die erkennungsdienstliche Behandlung auf der Dienststelle. Dieses Vorgehen, und überhaupt dass eine sorgfältig koordinierte Polizei-Aktion in mehreren Bundesländern stattfindet, erinnert stark an Anti-Terror-Einsätze und deutet zumindest an, mit welcher Vehemenz die organisierten Fans regelrecht bekämpft werden sollen. Außerdem belegen die völlig unnötigen Demütigungen, dass eines am vergangenen Dienstag noch viel wichtiger war als die Wahrheitsfindung: den Fanszenen mal so richtig eins auszuwischen.

Das wird auch daran deutlich, dass die Polizei alle erdenklichen Speichermedien sowie Handys, Laptops etc. sicherstellte – ohne dass sie sich daraus einen Beitrag zur Aufklärung des konkreten Sachverhalts versprechen könnte. Denn Tatbilder und -Videos, die die Polizei zu suchen vorgab, sind nun wirklich nicht ausgerechnet auf den Handys der Beschuldigten zu vermuten (wie erwähnt ist es die Polizei, die offenbar über reichlich Bildmaterial verfügt). Und die polizeiliche Behauptung, die Fan-Auseinandersetzungen seien telefonisch verabredet worden seien, wirkt angesichts der kursierenden Videos zumindest reichlich gewagt und kommt ihr jedenfalls sehr gelegen, wo sich nun doch die praktische Gelegenheit ergibt, Strukturen und Kommunikationskanäle auszuforschen. Es geht ja schließlich um einen „public enemy“…

Dass die Sicherheitsbehörden diesen public enemy tatsächlich konstruieren wollen, lässt übrigens eine Formulierung in den Durchsuchungsbeschlüssen durchblicken: Obwohl Unbeteiligte nach derzeitigem Kenntnisstand gar nicht zu Schaden kamen, sei das „Sicherheitsempfinden der Bevölkerung“ wegen der Fan-Auseinandersetzungen „erheblich beeinträchtigt“. Natürlich entbehrt diese Behauptung jeder Empirie: Es ist einfach eine Behauptung. Und noch dazu eine, die überhaupt nichts zur Sache tut. Denn ob die Polizei fremde Wohnungen zwecks einer Beschuldigten-Durchsuchung betreten darf, richtet sich nach strengen gesetzlichen (§102 StPO) und rechtsstaatlichen Voraussetzungen – ob die Staatsanwaltschaft meint, dass irgendein diffuses „Sicherheitsempfinden“ gestört sei, ist hingegen – aus guten Gründen – vollkommen irrelevant. Dass die Formulierung dennoch im Beschluss auftaucht, entlarvt das problematische und zutiefst autoritäre Selbstverständnis der Staatsanwaltschaft Mainz. Wohl auch angesichts der anstehenden Europameisterschaft will sich die Justiz des Gastgeberlandes von ihrer blitzsauberen Law-and-Order-Seite zeigen.

Nach den Hausdurchsuchungen wurden alle Beschuldigten also noch auf die Polizeidienststelle mitgenommen und erkennungsdienstlich behandelt, wobei die polizeiliche Ansage glasklar war: Entweder, man wirke freiwillig mit – oder es drohe „unmittelbarer Zwang“. Ja, die Sicherheitsbehörden lieben das Spiel dem Paradox der erzwungenen Freiwilligkeit. Das jedenfalls in Teilen überflüssige Prozedere (Wozu etwa brauchte es Fingerabdrücke?) zog sich bis in den späten Nachmittag und endete schließlich damit, dass manche Betroffene aus Mainz bis zur Dienststelle nach Ingelheim gefahren wurden: „Sieh zu, wie du nach Hause kommst“. Abgerundet wurde der Dienstag dann noch durch einige Stadion-Bereichsbetretungsverbote, die die Polizei übergab und für die es natürlich keine Verurteilung brauch. Aber was hat eigentlich der Bereich um das Stadion mit Auseinandersetzungen in der Innenstadt zu tun?

Das wissen wir auch nicht so genau. Aber abschließend noch ein paar Worte zum Tatvorwurf des „schweren Landfriedensbruchs“: Vermutlich geht nicht einmal die Staatsanwaltschaft ernstlich davon aus, dass „die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung“ bestand, während die anderen Tatbestandsvarianten des § 125a StGB noch abwegiger sind. Dass dennoch wegen schweren und nicht wegen einfachen Landfriedensbruchs (§ 125 StGB) ermittelt wird, deutet einmal mehr auf den autoritären Übereifer der Staatsanwaltschaft Mainz hin. Sie wäre sicher gut damit beraten, ihrer gesetzlichen Aufgabe nachzukommen (Straftaten aufzuklären und anzuklagen), anstatt sich als Moralhüterin aufspielend befremdliche „Denkzettel“ zu verpassen und dabei wiederum rechtswidrige Zustände herbeizuführen.

Denn genau das – rechtswidrige Zustände – produzieren diese irrlichternden Law-and-Order-Kreuzzüge der Sicherheitsbehörden immer wieder. Nur sind es eben rechtswidrige Zustände, die sie in Kauf nehmen. Und so bleibt festzuhalten, dass die Polizei-Aktion vom 19. März einen koordinierten Angriff auf organisierte Fan-Strukturen darstellt. Polizei und Staatsanwaltschaft ging es nicht vor allem darum, Beweismittel zu finden – viel wichtiger war es am vergangenen Dienstag, die Fans einzuschüchtern, auszuforschen, zu stigmatisieren und faktisch zu bestrafen. Der Angriff trifft wie immer Einzelne – meint aber die ganze Kurve.

Wir wünschen allen Betroffenen weiterhin viel Kraft und stehen euch natürlich zur Seite!

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