„Fußballfans sind normale Menschen und keine Schwerverbrecher“

Der Dachverband der Fanhilfen e.V. hat sich in einem offenen Brief an die Mitglieder im Sportausschuss des Bundestages gewandt und ein Umdenken bei der Planung von Polizeieinsätzen gefordert. Mehr Kommunikation und Deeskalation, statt Aufrüstung und Massenüberwachung, würden viele Konflikte zwischen Fans und der Polizei verhindern, so der Dachverband.

Außerdem spricht sich der Dachverband der Fanhilfen erneut für ein Pfeffersprayverbot in den Stadien, die Abschaffung der umstrittenen Datei „Gewalttäter Sport“ und eine unabhängige Beschwerdestelle der Bundespolizei für Fußballfans aus. (Faszination Fankurve, 23.02.2024)

Konflikte zwischen Fans und Polizei spitzten sich in dieser Saison weiter zu.
Konflikte zwischen Fans und Polizei spitzten sich in dieser Saison weiter zu. Bild: jokersradeberg.de

Faszination Fankurve dokumentiert die Stellungnahme des Dachverbands der Fanhilfen e.V.:

Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung im Sportausschuss des Bundestages am 21.02.2024: Sicherheitsfragen im Fußball

Sehr geehrte Mitglieder des Sportausschusses im Bundestag,
sehr geehrte Damen und Herren,

Fußballfans in Deutschland fühlen sich zunehmend unter ein schlechtes Licht gestellt. Bei Auseinandersetzungen zwischen Fußballfans und der Polizei bzw. der Ordnungsdienste werden die Fans in der Regel als Aggressoren und damit als Problem dargestellt. Berichte über angeblich wachsende Gewalt im Stadion werden durch subjektive Betrachtungen der Polizei gefüttert. Blockt man aber auf die durch die Polizei selbsterhobenen Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze der Polizei in Nordrhein-Westfalen, die bundesweit Statistiken über Polizeieinsätze beim Fußball erhebt, ergibt sich ein Bild, das deutlich zeigt, dass die Stadien so sicher wie nie zuvor sind.

Allein beim Münchner Oktoberfest gibt es fast zehnmal so viele Verletzte wie bei allen Spielen der 1. bis 3. Liga insgesamt pro Saison. Kein Stadionbesucher muss sich davor fürchten, bei Spielen zu Schaden zu kommen. Fangewalt ist keine Gefahr für die Gesellschaft [Oktoberfest München 2019: 6.592 Verletzte (Quelle: Statista); alle Spiele der 1. bis 3. Liga in der Saison 2022/23: 1.176 Verletzte (Quelle: ZIS)].

Fußballfans sind keine Gewalttäter. Fans wollen in erster Linie ihren Verein unterstützen und nicht organisierte Kriminalität ausüben. Die massive Präsenz der Polizei in und an den Stadien verbrennt Massen an Steuergeldern. Wo sehr viele Menschen zusammenkommen, sind Konflikte vorprogrammiert. Konflikte lassen sich aber nicht durch noch mehr Überwachung lösen, sondern durch Vermittlung und Moderation.

Der Dachverband der Fanhilfen ist ein Sprachrohr von Fußballfans, die sich nahezu an jedem Wochenende der Falschdarstellung durch die Polizei als potentielle Störer ausgesetzt sehen. Im Dachverband sind aktuell 23 Fanhilfen aus dem gesamten Bundesgebiet organisiert. Zählen wir die Mitglieder der einzelnen Fanhilfen zusammen, so vertreten wir als Dachverband die Interessen von ca. 15.000 bis 20.000 Fans. Willkürliche Überwachung und Repression gegen Fans sind im Stadion an der Tagesordnung. Durch intensive Aufklärungsarbeit von uns als Fanhilfen sind bereits viele Fans sensibilisiert für Themen rund um Überwachung und Freiheitsrechte.

Aktive Fußballfans erleben seit Beginn der Saison 2023/24 eine neue Welle von Polizeigewalt. Vor der im kommenden Jahr in Deutschland stattfindenden Europameisterschaft setzt die Polizei offenbar auf eine Eskalationsstrategie gegen Fans. Allein in der Hinrunde hat der Dachverband der Fanhilfen über 16 Spiele gezählt, wo die Polizei aufgrund von Kleinigkeiten oder mangelhafter Kommunikation mit den Fans bewusst Einsätze eskaliert hat, die zu massenweisen Verletzten geführt haben. Wasserwerfer, Drängelgitter, Drohnen und sogar Räumpanzer gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire der Polizei – selbst bei Fußballspielen in der 3. Liga. Das offenbart das polizeiliche Feindbild gegenüber Fans. Fußballfans sind normale Menschen und keine Schwerverbrecher. Mehr Kommunikation statt Aufrüstung und Massenüberwachung würde viele Konflikte zwischen Polizei und Fans im Vorhinein verhindern.

Dieser Mix aus Gewalt und Eskalation ist brandgefährlich und passt überhaupt nicht zu den seit Jahren bundesweit zurückgehenden Zahlen an Straftaten und Verletzten in den Stadien. In erschreckender Regelmäßigkeit werden Fußballfans Woche für Woche brutal und rücksichtslos durch die Polizei attackiert. Das muss sofort gestoppt werden! Die gewalttätigen Polizeieinsätze unter massivem Einsatz von Pfefferspray müssen aufhören und ein Pfefferspray-Verbot bei Polizeieinsätzen beim Fußball erwägt werden. Pfefferspray ist das wohl ungeeignetste Mittel der Polizei in vollbesetzten Stadien. Pfefferspray führt zu zahlreichen Verletzten – bei Fans und bei der Polizei. Die Eskalation der Polizei führt zu nichts. Statt in Vorbereitung der EM 2024 im eigenen Land die vermeintlich harte Kante zu zeigen, sollte die Polizei auf Kommunikation und Deeskalation mit den Fans setzen. Das sind die besten Mittel, um Konflikte zu verhindern.

Fußballvereine, DFB und DFL müssen sich jetzt dringend sowie unmissverständlich vor ihre Fans und Zuschauer stellen und ein Ende der polizeilichen Übergriffe fordern. Die Ampel-Regierung auf Bundesebene hat zahlreiche Versprechungen gemacht, um einen menschwürdigen und verhältnismäßigen Umgang mit Fußballfans zum Standard zu machen. An vorderster Stelle sollte sie ihre Versprechungen zur Reform der Datei “Gewalttäter Sport” vorantreiben. Die massenhafte Sammlung von persönlichen Daten über Fußballfans muss aufhören. Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist unrechtmäßig und muss sofort eingestellt werden. Diese umfangreiche Datensammlung ist nicht datenschutzkonform und dringt tief in die Privatsphäre von Fußballfans ein. Umfang und Löschfristen der Daten sind völlig unklar. Die Praxis der massenweisen Datensammlung muss aufhören.

Fanszenen sind für viele Polizisten ein Feindbild. Körperverletzungen im Amt durch Polizeibeamte und Übergriffe gegen Fans, etwa durch den Einsatz von Pfefferspray, Festnahmen oder willkürliche Kontrollen, sind ein großes Problem. Anzeigen gegen die Polizei laufen meist ins Leere und führen in nicht einmal 1 Prozent der Fälle zu einer Verurteilung eines Polizisten [Quelle: KViaPol-Studie von Prof. Dr. Tobias Singelnstein; https://kviapol.uni-frankfurt.de/]. Es braucht deshalb unverzüglich eine unabhängige Beschwerdestelle bei der Bundespolizei, die Straftaten durch Polizisten unabhängig untersuchen kann.

Der Fußball lebt durch seine Fans. Das hat nicht nur der Protest gegen den Einstieg eines Investors in der DFL deutlich gezeigt. Woche für Woche pilgern tausende Fußballfans in die Stadien, weil sie ihrem Verein die Treue geschworen haben und das Stadion zu dem Ort machen, den wir uns alle wünschen: Zu einem Ort der Leidenschaft, einem Ort des traditionellen Fußballs mit all seinen positiven und negativen Emotionen, zu einem Ort der Begegnung unterschiedlicher Menschen, die durch den Fußball Gemeinschaft und Solidarität erleben. Dazu gehören sehr wohl die aktiven Fans, die durch Choreografien und kreativen Aktionen das Vereinsleben lebendig halten. Sie sind nicht selten, neben dem eigentlichen Spiel auf dem Rasen, das eigentliche Highlight, das das Erlebnis Stadion ausmacht.

Demnach muss die Debatte um Gewalt in den Stadien möglichst objektiv, anhand von Zahlen und Statistiken, bemessen werden. Fanprojekte, Fanvertreter und Fans müssen eine direkte Möglichkeit erhalten, mit debattieren zu können. Die Einseitigkeit der Debatte führt nur noch zu mehr Frust innerhalb der Fanszenen und wird keine Besserung im Konflikt zwischen Polizei und Fans bringen.

Was es jetzt dringend braucht, ist ein grundlegendes Umdenken bei der Planung der Polizeieinsätze. Mehr Kommunikation mit den Fans am Spieltag vor Ort, mehr Deeskalation und Zurückhaltung muss in der Polizei etabliert werden, damit Konflikte im Vorhinein vermieden werden.

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