„Tat war zum Zeitpunkt des Eintreffens der Polizeibeamten bereits beendet“

„Der 13. Mann“, die Fanhilfe für Eintracht Frankfurt-Fans hat ein Zwischenfazit zu den Vorfällen hinter der Nordwestkurve beim Heimspiel gegen den VfB Stuttgart gezogen. Die Situation, die den Einsatz der Polizei ausgelöst habe, sei demnach bereits beendet gewesen, als die Polizeikräfte vor Ort eintraf.

Außerdem berichtet die Fanhilfe, dass Ersthelfer von der Polizei behindert und mit Pfefferspray angegangen worden sein sollen. (Faszination Fankurve, 08.12.2023)

Wegen des umstrittenen Einsatzes der Polizei gab es beim Heimspiel gegen Stuttgart keinen organisierten Support der Eintracht-Ultras.
Wegen des umstrittenen Einsatzes der Polizei gab es beim Heimspiel gegen Stuttgart keinen organisierten Support der Eintracht-Ultras. Bild: timo0711.blogspot.com

Faszination Fankurve dokumentiert das Zwischenfazit des 13. Manns:

8.12.: ZWISCHENFAZIT DES,,13. MANN" ZUM POLIZEIEINSATZ BEIM HEIMSPIEL GEGEN STUTTGART:

Zahl der verletzten Fans liegt bei über 100.

In den zwei Wochen nach dem gewalttätigen Polizeieinsatz im Waldstadion haben sich mehrere hundert Menschen an uns gewendet. Neben vielen Mails und persönlichen Schilderungen haben allein 236 Personen einen bereitgestellten Fragebogen ausgefüllt. Viele haben Verletzungen beobachtet, 102 der Personen gaben an, selbst verletzt worden zu sein, teils gleich durch mehrere Maßnahmen. 94 Geschädigte haben Reizstoffe abbekommen, 36 unmittelbare körperliche Gewalt (etwa durch Schlagstockeinsatz) erfahren, eine Person wurde von einem Wurfgeschoss getroffen.

Keine Durchsagen der Polizei vor Gewaltanwendung

Zehn Personen wurden von Sanitätern versorgt, 13 mussten sich im Nachgang in ärztliche Behandlung begeben, zwei wurden gar stationär aufgenommen. Besonders auffällig ist dabei, dass keine der 236 befragten Personen eine Durchsage der Polizei gehört hat, in der unmittelbarer Zwang angekündigt wurde. Vier Menschen wurde das zumindest verbal angedroht.

Das wahre Ausmaß ist noch weit größer

Die Fragebögen sind dabei nur die „Spitze des Eisbergs", viele dramatische Schilderungen haben wir ausführlich per E-Mail bekommen. Sie zeigen, dass das Ausmaß der polizeilichen Gewalt und die Zahl der verletzten Personen sogar weit größer sein muss, gibt es doch Berichte über völlig überlastete Rettungsstationen. Auch erzählen gleich mehrere medizinisch versierte Eintrachtfans in E-Mails (oder Medienberichten) dass sie quasi die gesamte erste Halbzeit über mit der Versorgung von Verletzten beschäftigt waren. Teilweise wurden Ersthelfer auch von der Polizei an Hilfe gehindert.

"Um nicht während des Spiels auf die Toilette zu müssen, wollte ich kurz vor Anpfiff auf die Toilette gehen und kam direkt ungewollt in die polizeiliche Maßnahme. [...] Da es schon zu diesem Zeitpunkt viele Verletzte gab, die nicht durch die Polizeiabsperrung durchgelassen wurden, habe ich mich als ausgebildeter Feuerwehrsanitäter und Ersthelfer um diese gekümmert. Jeder neutrale Versuch zur Kontaktaufnahme mit den Polizisten in der ersten Reihe scheiterte, da diese võllig adrenalingesteuert auf alles einprügelten, was sich vor ihnen befand. So bekamen mein Freund (Notfallsanitäter) und ich (obwohl wir uns als Ersthelfer zu erkennen gaben) weder Wasser noch sonst eine Unterstützung. Ganz im Gegenteil: Schlagstock und Pfefferspray kamen direkt gegen uns zum Einsatz. Eine Gefährdung der Polizisten ging zu keiner Zeit von uns aus." (Bericht Nr. 0047)

Beachtet werden muss dabei auch: Die meisten Teilnehmenden an unserer Befragung waren unbeteiligte Betroffene. Wer sich an Auseinandersetzungen beteiligt und Strafverfolgung fürchten muss, füllt einen Fragebogen unserer Erfahrung nach nicht aus. Gerade viele der schwereren Verletzungen betreffen vermutlich diesen Personenkreis. Diese immense Gesamtzahl der Verletzten wirft natürlich einmal mehr die Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes auf. In der Nachbetrachtung fallen drei Punkte auf:

Die auslösende Situation war bei Eintreffen der Beamten bereits beendet

Erstens: Der konkrete Auslöser für den Einsatz war ein körperlicher Angriff auf einen Mitarbeiter der Eintracht Frankfurt Unternehmenssicherheit in ziviler Kleidung. Diese Tat war zum Zeitpunkt des Eintreffens der Polizeibeamten bereits beendet, das besagen mehrere Augenzeugenberichte. Der Geschädigte musste nicht von der Polizei befreit werden, sondern konnte sich aus eigener Kraft vom Tatort entfernen. Das rechtfertigt die Tat keinesfalls, eine notwendige Strafverfolgung ist allerdings auch durch die massiv vorhandenen Videoüberwachungsmaßnahmen möglich. Viele Aussagen bestätigen, dass seitens der anrückenden Beamten weder eine direkte Festnahme, noch eine Beruhigung der Situation beabsichtigt war. Auch nach ersten Auseinandersetzungen war keine Deeskalation wahrnehmbar.

„Ich stand auf der Treppe zu Block 45 und ich sah, wie mehrere Polizeibeamte vor dem Eingang zu Block 38 standen [...] Die Lage schien soweit entspannt, als eine Frau, alleine aus Block 38 kommend, an diesen Beamten vorbei ging. Als sie am dritten Polizeibeamten vorbei ging, schlug dieser ihr 2 mal mit der Faust ins Gesicht ohne ersichtlichen Grund, was dazu führte, das die Polizeibeamten wieder attackiert wurden und diese massenhaft Pfefferspray Richtung Block 40 sprühten." (Bericht Nr. 0085)

Es gibt keine durch Fans verletzten Rettungskräfte

Zweitens: Die Behauptung der Polizei Frankfurt, dass auch Rettungskräfte durch Fans verletzt worden seien, wurde bereits vom Deutschen Roten Kreuz auf Facebook richtiggestellt. Allerdings wurden offenbar zwei Rettungsfahrzeuge beschädigt. Zumindest bei einem der dort genannten zwei beschädigten Rettungsfahrzeuge haben wir Schilderungen vorliegen, dass ein Schlagstockeinsatz der Polizei Grund dafür war, dass ein getroffener Fan beim Sturz einen Außenspiegel beschädigte, also kein aktiver Angriff ursächlich war.

Es gab keine großen Auseinandersetzungen zwischen Fans und Ordnungsdienst

Drittens: Die genannte Zahl der über 50 verletzten Ordner von Eintracht Frankfurt ist ebenfalls kein Beleg dafür, dass gewalttätige Fans wahllos angegriffen hätten. Von der auslösenden Situation - in die eine kleine Zahl von Mitarbeitern des Ordnungsdienstes verwickelt war - abgesehen, gibt es keine Berichte von Auseinandersetzungen zwischen Ordnern und Fans. Der Ordnungsdienst zog sich vielmehr in Blockeingänge oder auf andere Tribünen zurück. Die genannte Zahl der Geschädigten dürfte also zum großen Teil auf den breiten Einsatz von Reizstoffen zurückzuführen sein.

„Ich als Unbeteiligter war in Block 36 und ich denke mal ungefähr in der 20. Minute des Spiels habe ich Reizgas und auch Pfefferspray abbekommen. Meine Augen haben gebrannt und ich hatte Hustenanfälle. Ich hatte nach dem Spiel und auch am nächsten Tag immer noch Probleme mit Atmen. Außerdem war ich Zeuge, dass auch sehr viele Ordner Opfer wurden und dadurch auf die Jürgen Grabowski Tribüne weggerannt sind. Die Polizei hat nicht nur unbeteiligte Fans gefährdet, sondern auch die Stadionmitarbeiter." (Bericht Nr. 0006)

Die auslösende Situation rechtfertigt keine 200 Verletzten

Von der Polizei Frankfurt wurde mehrfach betont, es läge dem massiven Polizeieinsatz außer dieser auslösenden Situation keinerlei weitere Motivation zugrunde. Aufgrund vieler Schilderungen und auch Aussagen auf der polizeilichen Pressekonferenz, bei der Verfehlungen durch Fans in den letzten Monaten aufgezählt wurden, ist das nicht überzeugend.

In jedem Falle, aber besonders wenn man die polizeiliche Darstellung zu einem singulären Auslöser betrachtet, stellt sich jedoch eine Frage: Wie kann eine solche Situation, die leider sowohl im Stadtgebiet Frankfurt als auch bei Großveranstaltungen generell häufiger vorkommen dürfte, in einem derartigen Gewaltexzess mit insgesamt über 200 Verletzten enden?

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