Als die Polizei mit „brutaler Gewalt“ gegen FCC-Fans vorging

Im 3. Türchen des diesjährigen Adventskalenders thematisieren wir die Geschehnisse vom 15. April 2023. Die Fanszene des FC Carl Zeiss Jena wollte an diesem Samstag das Auswärtsspiel beim Berliner Verein SV Lichtenberg 47 besuchen. Am Berliner Hauptbahnhof kam es aber laut Blau-Gelb-Weißer Hilfe (BGWH) zu „einem Zwischenfall mit brutaler Polizeigewalt“, bei dem mehrere FCC-Fans verletzt wurden.

FCC-Fans am Hauptbahnhof in Berlin. Bild: horda-azzuro.de

Schon am Bahnsteig wurden die rund 150 Fans des FC Carl Zeiss Jena von vermummten Polizistinnen und Polizisten empfangen, umstellt und Richtung Treppe geschubst. Hier wurde schließlich eine weitere Eskalationsstufe erreicht, als Polizisten vorne den Treppenaufgang versperrten, Polizisten im hinteren Bereich des Mobs die Fans aber weiter drängten. Lief man nicht schnell genug, wurde man mit Schlägen, laut BGWH teils auch auf den Kopf, traktiert.

Neben der Treppe gab es eine Rolltreppe, die schließlich auch zum Hinaufgehen genutzt werden sollte. Die Polizei bildete links und rechts der Rolltreppe eine Art Spalier, durch das die Fans einzeln gehen mussten. Hier kam es laut BGWH schließlich zur endgültigen Gewalt-Eskalation seitens der Polizei: „Egal, ob jung, alt, minderjährig, männlich, weiblich: Alle FCC-Fans wurden durch Schläge und Tritte angegriffen, ohne zuvor auch nur irgendeine Form der Gewalt oder des Widerstands angewandt zu haben! Ein Beamter sprang sogar von außen an der Rolltreppe auf diese hoch, um noch Schläge gegen die Fans ausüben zu können!“ Diverse Fans trugen durch diese Aktion Schwellungen und Wunden davon.

Unter der Anschuldigung, man habe bei einem Halt in Naumburg eine andere Fangruppierung attackiert und dabei Fanutensilien geraubt, führte die Polizei danach in einem abgesperrten Bereich des Hauptbahnhofs eine Identitätsfeststellung der FCC-Fans durch. Diese dauerte laut BGWH über drei Stunden, wodurch die 150 FCC-Fans den 2:0-Auswärtssieg ihrer Mannschaft verpassten. Die Kontrollen hätten außerdem keine Hinweise auf den Tatvorwurf des schweren Raubs erbracht, welche die polizeilichen Maßnahmen gerechtfertigt hätten, hieß es weiter.

FCC-Fans am Hauptbahnhof in Berlin. Bild: horda-azzuro.de

Umstrittene Polizei-Einsätze im Jahr 2023 im Rückblick:

Im kommenden Sommer steht die Europameisterschaft 2024 in Deutschland an. Wie schon bei der Weltmeisterschaft 2006 beobachten Fußballfans im Ligaalltag eine Zunahme von Repressionen und überharten Einsätzen der Polizei in und um die Stadien. Im diesjährigen Adventskalender von Faszination Fankurve schauen wir auf die umstrittenen Polizei-Einsätze im Kalenderjahr 2023.

Zuletzt häuften sich Einsätze an Spieltagen, die von betroffenen Ultras, aber auch von anderen Fans in den Stadien als überhart, überzogen oder völlig daneben eingestuft werden. Bundesweit fanden solche Vorfälle zuletzt medial Beachtung. Weil, anders als im Jahr 2006, mittlerweile in vielen Fanszenen sogenannte Fanhilfen entstanden sind, findet die Sicht von aktiven Fußballfans in der Berichterstattung regelmäßiger Aufmerksamkeit. Wie schon beim letzten Großturnier in Deutschland vor über 17 Jahren sind von umstrittenen Einsätzen vor allem Fußballfans betroffen, die ihre Mannschaft zu Auswärtsspielen begleiten. Dieser Adventskalender zeigt, dass solch umstrittene Einsätze der Exekutive keine Einzelfälle sind. (Faszination Fankurve, 02.12.2023)

Faszination Fankurve dokumentiert die Pressemitteilung der Blau-Gelb-Weißen Hilfe vom 16. April 2023 zu den Vorfällen am Berliner Hauptbahnhof:

BRUTALE POLIZEIGEWALT AM BERLINER HAUPTBAHNHOF GEGEN FANS DES FC CARL ZEISS JENA – STELLUNGNAHME DER BLAU-GELB-WEISSEN HILFE E.V

Auch mit etwas zeitlichem Abstand ist es für uns als Blau-Gelb-Weiße Hilfe e.V. (nachfolgend kurz: BGWH) schwer zu realisieren, was Fans des FC Carl Zeiss Jena am Samstag, den 15. April 2023, im Rahmen des Auswärtsspiels ihres Vereins beim Berliner Verein SV Lichtenberg 47 widerfahren ist. Es war ein selten erlebtes Ausmaß polizeilicher Gewalt, welches die FCC-Fans über sich ergehen lassen mussten. Nicht wenige Fans sprachen davon, dass sie so etwas noch nie erlebt hätten. Mit der nachfolgenden Stellungnahme möchten wir unsere kurzen Twitter-Beiträge, welche bereits am Spieltag veröffentlicht wurden, ausführlich untermauern.

Rund 150 Fans des FC Carl Zeiss Jena waren mit dem Zug in die bundesdeutsche Hauptstadt gereist, um dort ihren Klub farbenfroh und lautstark zu unterstützen. Bei Ankunft am Berliner Hauptbahnhof erwartete die FCC-Fans ein großes Polizeiaufgebot (eingesetzt waren eine Einheit der Bundespolizei Blumberg sowie eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit, kurz: BFE), welches eine Identitätsfeststellung aller im Zug befindlichen Fans durchführen sollte. Dies begründete die Polizei auf Twitter mit der folgenden Aussage: „Beim Halt in #Naumburg haben Fußball-Fans aus Thüringen mehrere Fans einer sächsischen Elf attackiert & deren Fanutensilien geraubt. Am Berliner HBf erfolgten daher polizeiliche Maßnahmen. Hier leisteten sie dann Widerstand gegen die [Polizistinnen und Polizisten].“ Vorweg: Wie wir bereits auf Twitter mitteilten, wurden bei den durchgeführten Kontrollen keine Gegenstände gefunden, welche die Maßnahme gerechtfertigt hätten.

Was die FCC-Fans nach Ankunft in Berlin allerdings erwartete, war nicht nur unvorhersehbar, sondern ein Ausmaß eskalativer Gewalt vonseiten der Polizei, welches absolut nicht tolerierbar ist! Umgehend nach Verlassen des Zuges wurden die FCC-Fans von allen Seiten von vermummten Polizistinnen und Polizisten umstellt und durch körperlichen Zwang in Richtung des hintersten Treppenaufgangs an Bahnsteig 8 gedrückt. Die Aussage der Polizei „[hier] leisteten [die Fans] dann Widerstand“ ist dahingehend eine absolute Frechheit! Als Widerstand wurde hier scheinbar interpretiert, dass die Fans sich nicht schnell genug bewegten, was aufgrund dessen, dass sie von allen Seiten gekesselt waren und am vorderen Ende des Kessels von den dortigen Beamtinnen und Beamten mit Gewalt in Richtung Zug zurückgedrängt wurden (!), auch gar nicht möglich war. Bei einzelnen, insbesondere jüngeren Fans entstand bereits hier eine Paniksituation.

Ist bereits dieses polizeiliche Vorgehen zu verurteilen, folgte dann, als die Fans den für sie vorgesehenen Treppenaufgang erreicht hatten, eine weitere Eskalationsstufe, die von der Polizei offenbar bewusst herbeigeführt wurde. Die Treppe sowie die zugehörige Rolltreppe, welche die Fans nach oben gehen sollten, wurden von der Polizei blockiert. Nichtsdestotrotz begannen von drei Seiten (!) Beamtinnen und Beamte, die Fans mit Gewalt zu schieben, um sie zum Hinaufgehen der Treppen zu zwingen. Auch hier wiederholte sich, was bereits wenige Augenblicke zuvor passiert war: Lief man nicht schnell genug (was aufgrund dessen, dass man von drei Seiten durch die Polizei gedrückt wurde, gar nicht möglich war), wurde man umgehend mit Schlägen, teilweise von hinten auf den Kopf, traktiert. Auf der Treppe schubsten Polizistinnen und Polizisten Fans zudem immer wieder nach unten, zogen an ihnen oder drückten gar ihre Köpfe gen Boden. Wieder entstand eine Paniksituation unter den Fans. Und wer glaubt, dies sei schon alles gewesen, wurde erneut eines Besseren belehrt.

Neben der Treppe gab es eine Rolltreppe, welche von den Fans ebenfalls zum Hinaufgehen genutzt werden sollte. Hier stellten sich nun links und rechts der Rolltreppe Polizistinnen und Polizisten in einer Art Spalier auf, durch welches die Fans einzeln hindurchgehen mussten. Der Sinn dieses Spaliers war, einfach nur ungehemmt Gewalt gegen die FCC-Fans auszuüben! Als Fan hatte man zu dieser Zeit keine Wahl: Man musste durch dieses Spalier hindurch. Die einzige Option, die man hatte, war, sensible Körperteile (insbesondere den Kopf) irgendwie zu schützen. Egal, ob jung, alt, minderjährig, männlich, weiblich: Alle FCC-Fans wurden durch Schläge und Tritte angegriffen, ohne zuvor auch nur irgendeine Form der Gewalt oder des Widerstands angewandt zu haben! Ein Beamter sprang sogar von außen an der Rolltreppe auf diese hoch, um noch Schläge gegen die Fans ausüben zu können! Schockierend ist zudem, mit welcher Präzision insbesondere die Schläge vonseiten der eingesetzten Beamtinnen und Beamten ausgeführt wurden. Durch das bewusste Schlagen gegen die Köpfe der Fans wurden schwerwiegende körperliche Schädigungen leichtfertig in Kauf genommen. Bei zahlreichen Fans dokumentieren Wunden und heftige Schwellungen im Gesichtsbereich dieses völlig irre Vorgehen der Polizei. Überdies ist erwähnenswert, dass einige Beamtinnen und Beamte derart ungehemmt und unkontrolliert um sich schlugen, dass sie Kolleginnen und Kollegen mit ihren Schlägen trafen. Als BGWH wollen wir noch anmerken, dass Zeiten, in denen die Polizei ein Spalier bildet, um gezielt Menschen zu verprügeln und ungehemmt ihre Gewaltfantasien auszuleben (ein Beamter der eingesetzten BFE etwa äußerte später sinngemäß, als Fußballfan wolle man doch genau das und man wisse doch, was mit einem passiere, wenn man den Aufnäher der BFE sehe), in Deutschland eigentlich der Vergangenheit angehören sollten.

Im Anschluss an diesen polizeilichen Gewaltexzess wurde in einem extra abgesperrten Bereich des Berliner Hauptbahnhofs die angekündigte Identitätsfeststellung aller FCC-Fans durchgeführt. An dieser Stelle müssen wir unseren Twitter-Post vom Spieltag um die Information ergänzen, dass unterschiedlichen Fans unterschiedliche Gründe für die durchgeführte Maßnahme genannt wurden. Der ursprünglich genannte Grund „Schwerer Raub“ wurde bei einigen Fans gar nicht genannt, sondern auf den Tatvorwurf „Landfriedensbruch“ verwiesen. Dies ist besonders absurd vor dem Hintergrund, dass die Fans nun als Schuldige dafür ausgemacht wurden, dass sie von der Polizei am Bahnsteig wiederholt anlasslos verprügelt wurden. Das, liebe Polizei, ist – mit Verlaub – ein äußert schwieriges Verständnis des bundesdeutschen Rechts. Die weiteren unwürdigen Umstände der rund drei Stunden dauernden Maßnahme (Toilettengang nur in Begleitung, keine Verpflegungsmöglichkeiten etc.) sind angesichts dessen, was zuvor passierte, fast schon nicht mehr der Rede wert.

Als besonders bitter betrachten wir als BGWH im Nachhinein den Fakt, dass wir leider in einem Land leben, in dem Menschen in Polizeiuniform ungehemmt und ungestraft Gewalt gegen Menschen ausüben dürfen, ohne dass es hierfür einen Anlass gegeben hätte! Wir betonen es gerne nochmal: Ohne dass es hierfür einen Anlass gegeben hätte! Warum ist das für uns bitter? Leider werden die prügelnden Beamtinnen und Beamte nicht zur Rechenschaft gezogen werden (können), da es in Deutschland weder eine flächendeckende Kennzeichnungspflicht bei der Polizei noch eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeigewalt gibt! Die BGWH fordert daher einmal mehr klar und deutlich:

1.) Kennzeichnungspflicht für alle im Einsatz befindlichen Kräfte der Polizei! Ein Aufnäher mit der Aufschrift „BFE“ reicht nämlich nur für die Info, dass man jetzt verprügelt wird.

2.) Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdestelle für Opfer polizeilicher Gewalt. Es kann nicht sein, dass die Polizei gegen sich selbst Ermittlungen führen darf!

Abschließend wünschen wir allen verletzten FCC-Fans eine gute Besserung! Bestätigen können wir, dass zwei FCC-Fans im Krankenhaus behandelt werden mussten, unzählige weitere trugen Wunden und teilweise massive Schwellungen, zumeist im Gesichtsbereich, davon. Neben den körperlichen Blessuren sorgen wir uns als BGWH insbesondere um das psychische Wohl der Betroffenen und bieten diesen natürlich an, gemeinsam mit uns die Vorfälle aufzuarbeiten und zu besprechen.

Danken möchten wir allen, die sich an diesem Tag für die FCC-Fans eingesetzt haben, seien es Fans und Fanhilfen anderer Vereine sowie den beiden Mitarbeiterinnen des Fanprojekts Jena e.V.

An alle Betroffenen FCC-Fans: Lasst euch nicht unterkriegen! Seid solidarisch! Wir gehen die Sache gemeinsam an. Wir bleiben kritisch an der Aufarbeitung der Vorkommnisse dran und unterstützen gerne jede und jeden persönlich bei der Einordnung und Verarbeitung der Erlebnisse.

Blau-Gelb-Weiße Hilfe e.V. | 16. April 2023

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