„Die Polizei muss Einsätze defensiver planen“
Auf der jährlichen Mitgliederversammlung des Dachverbands der Fanhilfen e. V. kamen am gestrigen Sonntag in Hannover 22 Fanhilfen zusammen und entwickelten dabei einen gemeinsamen Forderungskatalog zum besseren Umgang mit Fußballfans.
Außerdem blickten Vertreter und Vertreterinnen der einzelnen Standorte gemeinsam auf den Neustart in den deutschen Stadien nach dem Ende der Corona-Beschränkungen. Viele Fanhilfen berichteten dabei über anhaltend überzogene Polizeieinsätze.
Dazu betont Linda Röttig, Mitglied im Vorstand des Dachverbands: „Nach zwei Jahren Pandemie blüht die Fankultur in den Fußballstadien wieder vollends auf. Viel zu oft erleben Fans jedoch willkürliche und unverhältnismäßige Polizeimaßnahmen gegen sich. Die Polizei muss endlich ihre Feindbilder gegenüber den Fans abbauen. Wasserwerfer, Ganzkörperkontrollen und sogar Drohnenüberwachung gehören mittlerweile zum Standard-Repertoire der Polizei – selbst bei Fußballspielen in der 3. Liga. Das offenbart einen völlig übertriebenen Generalverdacht gegenüber allen Fans.”
Der gestrige Beschluss der Fanhilfen setzt genau dort an und fordert, das Feindbild „Fußballfan“ systematisch abzubauen. Dies müsse einhergehen mit dem Schutz von Bürgerrechten am Spieltag sowie der Abschaffung der Datei „Gewalttäter Sport”. Darüber hinaus wurde die Forderung nach einer Kennzeichnungspflicht für die Polizei erneuert und die auf EU-Ebene geplante Chatkontrolle abgelehnt.
„Kurz- und mittelfristige Verbesserungen für alle Fans müssen von der Politik zügig angegangen werden. Nach der Winterpause werden sich die Stadien wieder füllen und Fans werden erneut mit einem völlig aus dem Ruder gelaufenen Sicherheitsapparat konfrontiert sein. Einer echten Wertschätzung des vielfältigen Engagements der Fanszenen steht dieser Generalverdacht eindeutig entgegen. Dauerüberwachung, Freiheitsbeschränkungen, rechtswidrige Datensammlungen, fehlende Handhabe gegen Polizeigewalt und die geplante Kontrolle jeglicher digitaler Kommunikation beschränken Fanrechte massiv. Die Fanhilfen in Deutschland werden zu diesen Themen auch in Zukunft nicht schweigen und Missstände weiterhin eindeutig benennen”, so Röttig weiter. (Faszination Fankurve, 05.12.2022)
Faszination Fankurve dokumentiert den Forderungskatalog des Dachverbands der Fanhilfen e. V.:
Eine lebendige Fankultur braucht starke Fanrechte
Beschluss des Dachverbands der Fanhilfen e. V.
Hannover, den 04.12.2022
1. Die Polizei muss ihr Feindbild „Fußballfan“ systematisch abbauen.
Fußballfans sind keine Gewalttäter, sondern wollen ihren Verein unterstützen. Die massive Präsenz der Polizei in und an den Stadien verbrennt Millionen von Steuergeldern. Beim Münchner Oktoberfest gibt es fast zehnmal so viele Verletzte wie bei allen Spielen der 1. bis 3. Liga pro Saison, was selbst der polizeieigene ZIS-Jahresbericht belegt. Kein Stadionbesucher muss fürchten, zu Schaden zu kommen. Die Polizei muss Einsätze defensiver planen und darf nicht mehr Massen von Personal beim Fußball einsetzen.
2. Fanrechte sind Bürgerrechte, die auch am Spieltag nicht ausgehebelt werden dürfen.
Viele Fans werden schlechter als andere Bürgerinnen und Bürger behandelt. Dass etwa bei Auswärtsspielen reisenden Fans keine Möglichkeit zum Toilettengang, keine Bewegungsfreiheit und keine Versorgungsmöglichkeiten gegeben werden, kennen sie nur zu gut. Polizei und Justiz müssen die willkürliche Praxis der Polizeikessel beenden und dafür sorgen, dass sich alle Fans frei am Spieltag bewegen können und nicht unter Generalverdacht gestellt werden.
3. Die illegale Datensammlung in der Datei „Gewalttäter Sport“ muss gestoppt werden.
Die Datei „Gewalttäter Sport“ ist unrechtmäßig und muss sofort abgeschafft werden, was selbst Datenschützer der Bundesländer immer wieder betonen. Sie dringt genauso wie die Datensammlungen in den Bundesländern tief in die Privatsphäre von Fußballfans und damit von Bürgerinnen und Bürgern ein und ist alles andere als datenschutzkonform. Umfang und Löschfristen der Daten sind beispielsweise völlig unklar. Die Praxis der unverhältnismäßigen Datensammlung muss aufhören.
4. Es braucht eine Kennzeichnungspflicht für Polizisten mit eindeutiger Individualisierung.
Oft greifen Polizisten gegen Fußballfans besonders hart durch. Körperverletzungen im Amt durch Polizisten, etwa durch überzogene Schmerzgriffe, willkürliche Schläge und Tritte oder auch den Einsatz von Pfefferspray beobachten Fanhilfen an fast jedem Wochenende. Eine Pflicht für Polizisten, die eigene Uniform mit individuellen Kennzeichen zu versehen, würde Übergriffen durch sie präventiv entgegentreten bzw. Betroffenen die Möglichkeit geben, gegen Täter rechtlich vorzugehen. Die Kennzeichnungspflicht muss endlich sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene flächendeckend eingeführt werden. Die Fanhilfen fordern überdies unabhängige Beschwerde- und Ermittlungsstellen für Anzeigen gegen die Polizei.
5. Die von der EU geplante Chatkontrolle muss verhindert werden.
Eine Chatkontrolle, die derzeit auf EU-Ebene diskutiert wird, muss von der Bundesregierung klar zurückgewiesen werden. Der Dachverband der Fanhilfen schließt sich der bundesweiten Kampagne „Chatkontrolle stoppen“ an und kritisiert die vorgesehene Massenüberwachung. Eingriffe in persönliche Nachrichten und Chats dürfen nicht zum Standard werden. Es braucht eine unabhängige Aufsicht und Überprüfung der Technologie sowie ihres Einsatzes. Eine pauschale Überwachung der digitalen Kommunikation in der gesamten EU muss durch die Bundesregierung verhindert werden