Trotz Widerspruch zur DFB-Regelung: Schiedsrichter drohte mit Spielabbruch
Beim Samstagabendspiel der Bundesliga tauchte in der Nordkurve Mönchengladbach ein beleidigendes Plakat der Sottocultura Ultras auf. Schiedsrichter Patrick Ittrich unterbrach die Partie in der 42. Spielminute, nachdem er das Plakat wahrgenommen hatte. Über den Stadionsprecher wurde sogar ein Abbruch des Spiels angedroht.
Daraufhin verschwand das „Ein Hurensohnverein stellt nur Hurensöhne ein!“-Spruchband wieder aus der Nordkurve. Ittrich löste damit den ersten Schritt des Drei-Stufen-Plans des DFB aus, der für diskriminierenden Vorfälle und nicht für beleidigende Vorfälle geschaffen wurde.
„Der Drei-Stufen-Plan soll nicht bei Beleidigungen oder anderen grob unsportlichen (aber nicht-diskriminierenden) Verhalten angewendet werden. Kritik in Form von Transparenten, Sprechchören o.ä. kann sehr direkt, unhöflich, unsachlich oder geschmacklos sein. In solchen Fällen kann das Spiel auch künftig weiterlaufen und gegebenenfalls, wie bisher, sportgerichtliche Ermittlungen nach dem Spiel eingeleitet werden. Eine inflationäre Anwendung hätte eine Bagatellisierung von Diskriminierungen zur Folge und würde bewusste Spielmanipulationen ermöglichen“, grenzte der DFB noch in einer Konkretisierung vor der Saison 2021/2022 Beleidigungen von Diskriminierungen und „personifizierten Gewaltandrohungen“ ab. Als Beispiel für „personifizierte Gewaltandrohung“ nennt der DFB „Personen im Fadenkreuz“. Beleidigungen schloss der Verband jedoch explizit für den Drei-Stufen-Plan aus. „Kritik gegen Institutionen und Personen ist selbstverständlich zulässig. Selbst wenn sie beleidigend (u.a. Verwendung des Begriffs ‚Hurensohn‘) oder grob unsportlich sein sollte, kann das Spiel auch künftig weiterlaufen und gegebenenfalls wie bisher nur ein sportgerichtliches Verfahren (ohne die Anwendung des Drei-Stufen-Plans) nach dem Spiel eingeleitet werden (Antragserfordernis)“, heißt es in der Handreichung des DFB zum Drei-Stufen-Plan. Dort wird die nun diskutierte Beleidigung somit nicht als Diskriminierung definiert.
Im ersten Schritt sieht der Plan des DFB bei Diskriminierungen oder „personifizierten Gewaltandrohungen“ eine Unterbrechung und eine Lautsprecherdurchsage vor. Beim zweiten Schritt soll eine längere Spielunterbrechung folgen und in Stufe 3 kann die Partie vom Schiedsrichter sogar abgebrochen werden.
Schiedsrichter Patrick Ittrich erklärte im Nachgang des Spiels vor der Fernsehkamera, dass er bei Beleidigungen und Verschmähungen eine kurze Leine habe. Rechtsfreie Räume dürfe es im Internet und im Stadion nicht geben. Seiner Auffassung müssen solle Vorfälle unterbunden und klar dagegen vorgegangen werden. Gleichzeitig erklärte Ittrich, dass der Drei-Stufen-Plan schon eingehalten werden solle, womit er einen Widerspruch aufmachte. „Schiri Patrick Ittrich gibt hier offen zu, dass ihn die Linie des DFB nicht interessiert. Von der Wortwahl des Banners mag man halten, was man will - aber hier wird ein Unverständnis für Fankurven gezeigt, das einem BuLi-Schiri unwürdig ist“, kritisiert die Fanhilfe Mönchengladbach die Aussagen des Schiedsrichters im TV-Interview.
In der Realität ist das Stadion kein rechtsfreier Raum. Beleidigende Plakate lösten in der Vergangenheit schon mehrfach entsprechende Ermittlungen und Verurteilungen vor ordentlichen Gerichten aus. Zudem sieht die DFB-Sportgerichtsbarkeit eine Bestrafung von Beleidigungen in den Stadien vor. Der DFB belegt die Vereine bei solchen Aktionen regelmäßig mit hohen Geldstrafen.
Um den Drei-Stufen-Plan anzuwenden hätte sich Ittrich eigentlich auch auf geäußerte Diskriminierungen berufen können. Durch das Wort „Hurensohn“ werden nicht die aktuellen und ggf. zukünftigen verantwortlichen Personen von RB Leipzig diskriminiert. Jedoch beinhaltet die Aussage des Spruchbandes eine Abwertung von Frauen in der Sexarbeit (einschließlich ihrer Kinder) und ist damit laut SprachKick.de eine Diskriminierung. Doch Ittrich berief sich auch im Interview nach Abpfiff lediglich auf Beleidigungen und Verschmähungen. Diese richteten sich jedoch gegen privilegierte Personen, weshalb es keine Diskriminierung darstellt. Hier könnt ihr mehr zur Unterscheidung zwischen einer Beleidigung und einer Diskriminierung nachlesen.
Die Fans von Borussia Mönchengladbach protestierten in Anlehnung an das Gründungsjahr von Borussia Mönchengladbach gestern gegen Rasenballsport Leipzig in den ersten 19:00 Minuten des Spiels. Die Sottocultura Ultras hatten zu der Aktion aufgerufen. Wie schon bei den bisherigen Spielen gegen RB Leipzig pfiffen die Gladbach-Fans in dieser Zeit vor allem. Anschließend startete der organisierte Support in der Nordkurve. Statt der üblichen Zaunfahnen war in der Nordkurve gestern erneut die „Traditionsverein seit 1900 - Borussia Mönchengladbach“-Botschaft zu lesen sowie vorab das „Keine Akzeptanz für RB“-Plakat.
In Richtung des ehemaligen Gladbach-Managers Max Eberl, der kurz vor einem Wechsel zu RB Leipzig steht, zeigte Sottocultura noch folgende Spruchbänder: „Monatelanges Gepoker mit einem Konstrukt ohne Seele - Max Eberl, dein Sinneswandel macht uns krank!“ und „Niemand hier wird je vergessen, wo wir herkommen - Und wo du hingest, du charakterloses Arschloch!“.
Unter der Woche meldete sich bereits der FPMG Supporters Club zum bevorstehenden Engagement von Eberl bei RB Leipzig zu Wort und warf dem ehemaligen Gladbach-Manager bei seinem Rücktritt bei der Borussia ein „Schauspiel“ vor. (Faszination Fankurve, 18.09.2022)