„Wir sehen den Kurvenfrieden akut in Gefahr"

In der Fanszene von Holstein Kiel entfachte bereits zu Saisonbeginn eine Debatte über Aufkleber von KSV-Fans mit „Für Verein und Vaterland“-Schriftzug. Nachdem die Fanszene eine Stellungnahme dazu veröffentlichte, tauchten neue Motive mit ähnlichen Botschaften auf.

Die Compagno Ultras aus der Fanszene von Holstein Kiel nahmen dies zum Anlass, sich dem Thema nochmal genauer anzunehmen. Man sehe durch die Herstellung solcher Artikel und Sticker den Kurvenfrieden akut in Gefahr.

Wer in dem ersten Statement aus der Kieler Fanszene zum Thema antideutsche oder linke Tendenzen vermutete, liege komplett daneben, stellen die Compagno Ultras klar. Vielmehr würden die Aufkleber die Szene spalten.

Weiter erklären die Ultras, warum es am Bundesadler oder den Farben Schwarz-Rot-Gold grundsätzlich nichts auszusetzen gäbe, stehen diese Symbole doch für Demokratie, Gewaltenteilung Gleichheit, Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit. (Faszination Fankurve, 11.03.2024)

Aufkleber mit Holstein Kiel-Wappen und dem Bundesadler.
Aufkleber mit Holstein Kiel-Wappen und dem Bundesadler. Bild: privat

Faszination Fankurve dokumentiert den von den Compagno Ultras veröffentlichten Text:

NATIONALISMUS IST KEINE ALTERNATIVE?

In unserer Kurve herrschte zuletzt eine hitzige Debatte um Aufkleber, auf welchen ein Bundesadler zu sehen ist. Unsere Gruppe, aber auch alle anderen Gruppen, die im Vorstand des Block 501 vertreten sind, hießen diese Aufkleber nicht gut und positionierten sich in einem Statement gegen das Verkleben dieser. Hersteller und Befürworter der Aufkleber stellten sich die Frage, wo das Problem liege, sind doch keine verfassungswidrigen Elemente zu sehen, und machten ihrem Ärger Luft. Im Trotz wurde gleich eine zweite Charge nachbestellt, Hosen angefertigt und ein Schwung an weiterem Material mit Nationalbezug bestellt, was auf der anderen Seite für nicht wenig Kopfschmerzen sorgte. Aber was stand in dem gemeinsam formulierten Statement, von dem man sich scheinbar provoziert fühlte und das einem zu diesem Trotz bewegt? Im gemeinsam formulierten und auf das Wesentliche reduzierten Statement hieß es, dass das Verkleben dieser Aufkleber nicht in den Wertekosmos unserer Kurve passe, da die Aufkleber die Kurvengemeinschaft eher spalte als vereine. Keine Ahnung, wer bei Holstein die Fahne für das Vaterland hochhält, jenes machen einige auch aus unserer Gruppe in wirklich bedrohlichen Lagen bei der Bundeswehr, ich denke jedoch die Wenigsten werden das im Stadion tun. Zumindest dachte ich - und das jetzt schon seit über 20 Jahren, dass wir wegen des Fußballs und wegen Holstein im Stadion stehen. Wer in dem Statement der Fanszene also antideutsche oder linke Tendenzen vermutet, liegt falsch und hat die Debatte nicht verstanden. Warum diese Symbolik nicht in unseren Wertekosmos passt, möchte ich an dieser Stelle ausführen. Dafür möchte ich die folgende Diskussion an einem Begriff festmachen, den ich an dieser Stelle auf ein Minimum runterbreche, damit der Text für alle verständlich ist: Nationalismus

„Der Chauvinismus erhielt in jüngerer Vergangenheit einen extremen Zulauf"

Nationalismus lässt sich ganz grob in zwei wesentliche Strömungen unterscheiden. Es gibt zum einen den „inklusiven Nationalismus", auch bekannt als „Linksnationalismus", als auch den „exklusiven Nationalismus" der weithin als „völkischer Nationalismus" oder „Chauvinismus" bekannt ist. Beide Strömungen zeichnen ein positives Bild eines Nationalstaates und bemessen ihm positive Eigenschaften zu. Das können zum einen mit der Nation verbundene Werte, als auch mit dem Staat verbundene Errungenschaften sein. Bis hierhin also nichts Falsches. Was beide Strömungen voneinander unterscheidet, ist die Frage nach gesellschaftlicher und kultureller Teilhabe und dem Auftreten gegenüber anderen Nationalstaaten, Völkern und Minderheiten. Ein inklusiver Nationalismus zielt darauf ab, alle Teilgruppen einer Gesellschaft in den Staat zu integrieren und ihnen die kulturellen Werte und Errungenschaften des Nationalstaates zu vermitteln. Demgegenüber steht der exklusive Nationalismus, der Menschen aufgrund von ethnischen und kulturellen Merkmalen sortiert, ausgrenzt und vertreibt; Begriffe wie „Blut und Boden" benutzt um Territorien gegenüber Nachbarstaaten für sich zu beanspruchen und die eigene Rasse als die höhere gegenüber anderen Ethnien darstellt (sog, white supramacy). Die Grenzen zwischen den beiden Strömungen gehen teilweise ineinander über. Das ist auch der Grund, warum der Chauvinismus in der jüngeren Vergangenheit einen extremen Zulauf erhielt und bisweilen Zielgruppen erreicht, die sich selbst in der politischen Mitte verorten würden.

„Ideen, die nicht zuletzt von Nazis propagiert und umgesetzt wurden"

Am Bundesadler oder an den Weimarer Farben Schwarz-Rot-Gold" gibt es grundsätzlich nichts auszusetzen. Sie stehen (laut Verfassung) für Demokratie, Gewaltenteilung Gleichheit, Selbstbestimmung und Rechtsstaatlichkeit und wurden erstmals 1919, nach der Revolution der Arbeiter und Soldaten und der damit verbundenen Abdankung des Kaisers, zu den Nationalfarben des ersten deutschen demokratischen Staates, der Weimarer Republik. Sie stehen also für alles, für das der Chauvinismus nicht steht. Es gibt Menschen, die diese Symbolik sicherlich so Auffassen und als diese verstehen wollen. Ich tue das auch, jedoch ist mir das tatsächliche Handeln nach solchen Grundsätzen wichtiger, als sie über Symbole zur Schau zu stellen. Zuletzt (und hier bewegen wir uns in einem Rahmen der letzten 20 Jahre) wird diese Symbolik bewusst von der neuen Rechten in die Öffentlichkeit getragen, um unter diesen Farben einen völkischen Nationalismus in ein vermeintlich demokratisches Wertekorsett zu pressen. Einfache nationalstaatliche Symbolik wird von völkischen Nationalisten verwendet, um chauvinistische Positionen gesellschaftlich salonfähig zu machen und um unter diesem Deckmantel Menschen aufgrund der Herkunft auszugrenzen. Es werden Aussagen getroffen, die einem sagen, dass es was bedeutet „Deutsch" zu sein, und dass es etwas Besonderes wäre und man, weil man zufällig hier geboren wurde, viel besser ist als der polnische, italienische oder türkische Nachbar. Viele Menschen finden das völlig zurecht extrem bedrohlich, und nicht zuletzt die Recherchen des Correctiv-Kollektivs sollten die gesellschaftliche Mitte aufgerüttelt und ihr bewusst gemacht haben, dass wir es hier mit Ideen zu tun haben, die nicht zuletzt von Nazis propagiert und umgesetzt wurden. Ideen, die Deutschland in ein Verderben und die Menschen in Europa in unfassbares Leid geführt haben. Wer sich von der historischen Verantwortung, die unser Land trägt, freimachen möchte, sollte keinen Menschen hinterherlaufen, die die Historie gerne wiederholen wollen.

„Wir sehen den Kurvenfrieden akut in Gefahr"

Mit dem Zeigen solcher Symbolik, ob jetzt in Form von Aufklebern, auf Kleidung oder Fahnen, wird dieser gesellschaftliche Konflikt, in das Stadion getragen. Wir sehen es durchaus kritisch, wenn sich Menschen bei Holstein über ihre nationale Herkunft definieren und Nationalstaatlichkeit als Identifikationsmerkmal dient. Das gilt im Übrigen auch für alle anderen Nationalstaaten, Flaggen und Symbole. Wir sehen den Kurvenfrieden akut in Gefahr, denn Nationalismus ist immer schon genutzt worden, um zu definieren, wer zur Gemeinschaft dazugehört und wer nicht. Eine Spaltung, wie sie gerade in unserer Gesellschaft statt- findet, können wir in unserer Fanszene nicht gebrauchen. Das ist auch der Grund, wieso wir wiederholt um das Unterlassen gebeten haben, denn auf eine Aktion erfolgt meistens eine Gegenreaktion. Hier ist ein Konsens gebrochen worden, der es bisher vermied, dass sich Gruppen unterschiedlicher politischer Lager in der Kurve radikalisieren und die Fanszene gespaltet wird! Wer politische Ideologie ins Stadion trägt, muss damit rechnen, dass sich Widerstand auf der anderen Seite formiert, und wer wiederholt den Konsens bricht, muss langfristig damit rechnen isoliert zu werden. Ich möchte die Nutzenden nicht pauschal in eine Ecke stellen, das bewusste Überschreiten von in unserer Fanszene geführtem Konsens und das Ignorieren von geäußerten Bedenken lässt jedoch vermuten, dass man sich mit solchen Gedanken anfreunden kann oder sie zumindest billigt und damit ganz bewusst die Spaltung der Fanszene in Kauf nimmt. Wer permanent darauf pocht, dass das eigene Handeln legitimiert wird, muss sich nicht wundern, wenn das vehement auf Ablehnung stößt und die Bereitschaft zu kooperieren kontinuierlich sinkt. Deshalb: Identifiziert Euch mit den Werten unseres Vereins und des Block 501. Alle für Holstein!
 

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