„Unter keinen Umständen dürfen Menschen in dieser Art misshandelt werden“
Im Nachgang des massiven Polizeieinsatzes hinter der Gegengerade hat auch Ultrà Sankt Pauli (USP) ein Statement zu „Polizeigewalt gegen Fußballfans“ veröffentlicht und dabei vor allem die allgemeine Situation unabhängig von diesem Einzelfall in den Blick genommen.
„Die Diskussion läuft ob der schockierenden Brutalität gegen einzelne Menschen Gefahr, sich wieder einmal nur auf eine konkrete Situation zu fokussieren und die strukturelle Ebene hinter den Geschehnissen nicht ausreichend zu beachten. Für viele Menschen sind diese Vorkommnisse aber nicht neu. Solche Szenen ereignen sich rund um Fußballspiele jedes Wochenende. Sie werden allerdings in der Regel von Menschen ohne Lobby erlebt und nicht immer in dieser Explizität dokumentiert. Jede Fanszene kann von dutzenden Erlebnissen dieses Gewaltlevels berichten, die mindestens diesen Aufschrei verdient gehabt hätten. Würde die regelmäßig und strukturell geförderte Polizeigewalt andere Gruppen und andere Umfelder in der Gesellschaft auch nur ansatzweise betreffen, würde sich dem Problem massiv angenommen werden. Die in nahezu jedem Stadion geäußerte Wut und Frustration ist keinesfalls das Produkt eines dumpfen Feindbildes, sondern ein Ergebnis jahrelanger, erniedrigender Erfahrung. Wir leben mit dieser Situation seit langer Zeit. Ähnlich wie marginalisierte oder schwache Gruppen der Gesellschaft, und genauso wie andere Fußballfans. Die aktuellen Vorkommnisse reihen sich in eine gewollte und forcierte Eskalation der Polizeibehörden ein, in der es auch auf St. Pauli Normalität wurde, stets die Konfrontation mit den Fans zu suchen und in der ein den geschlossenen Einheiten innewohnender Gewaltfetisch oftmals wegen Nichtigkeiten hemmungslos ausgelebt werden kann. Am vergangenen Freitag führte dies abermals zu Knochenbrüchen und schweren Verletzungen“, ordnet die Vorfälle von vergangenem Freitag ein.
Die Ultras des FC St. Pauli kritisieren, dass die Polizei in der Öffentlichkeit weiterhin als neutrale Partei dargestellt würde und nicht als politischer Akteur: „In dieser Logik werden Pressesprecherinnen und Pressesprecher der Polizei zur neutralen Informationsquelle, deren Einschätzungen und Darstellungen medial oft unhinterfragt übernommen werden. Es gibt allerdings ein weitreichendes Eigeninteresse und eine eigene Agenda der Polizeibehörden, oft beeindruckend schlecht kaschiert. Dieses Jammern, dieses Herbeireden von Gefährdungslagen, denen man beispielsweise am Millerntor regelmäßig mit Räumpanzern, Pferden und mehreren Wasserwerfen begegnen müsse, verhindert zuverlässig, dass die Finanzminister im Polizeiressort zu viel sparen. Diese behördliche Angst um Mittel ist überall bekannt. Nicht aus Aufklärungs- oder Erklärungswille, sondern im Rahmen einer eigenen Agenda soll damit ein ‚Die werden schon etwas gemacht haben‘ oder ‚Die haben das verdient‘ bedient werden. In diesem Kontext ist auch die aktuelle Täter-Opfer-Umkehr und die hilflose Argumentation der Polizei zu sehen, betroffene Menschen zu diskreditieren. Es ist jedoch völlig belanglos, was vorher war, denn unter keinen Umständen dürfen Menschen in dieser Art misshandelt werden. Dass in der Deutung der Bilder vom Derby polizei-seitig noch versucht wird, das zu negieren und Relativierungen zu formulieren, sollte in einem Rechtsstaat alle Alarmglocken läuten lassen. Das alles sind keine Einzelfälle, nicht einzelne Beamte, die einen schlechten Tag haben oder überfordert sind. Das Problem ist hochgradig strukturell – und wird zu wenig als solches behandelt. Die Polizei ist eine Institution, die schon in der Ausbildung nicht auf demokratisches Verständnis setzt, sondern auf Korpsgeist und preußische Gehorsams-Ideologie“, so die Stellungnahme von USP weiter. Weiter bemängeln die Ultras, dass trotz vieler Vorfälle in Deutschland bis heute keine unabhängige Institution existierte, die polizeiliches Fehlverhalten untersucht. (Faszination Fankurve, 20.10.2022)